5 Tipps für eine konstruktive Fehlerkultur

Fehlerkultur ist eines der Buzzwords der letzten Jahre.

Viele reden davon, aus Fehlern zu lernen. Unbestritten ist eine konstruktive Fehlerkultur eines der wichtigsten Standbeine der psychologischen Sicherheit im Team.

Dabei wird allerdings häufig die Annahme getroffen, dass man in einem kreativen, innovativen Umfeld unterwegs ist, in dem man Fehler immer gut sind, um daraus zu lernen.

Es gibt aber natürlich auch industrielle Umgebungen, in denen Fehler nicht wirklich erwünscht und sogar mit hohen Risiken verbunden sind. Auch in solchen Umgebungen sollten Führungskräfte überlegt mit Fehlern umgehen.

In ihrem Buch „Right Kind of Wrong“ beschreibt die Harvard-Professorin Amy Edmondson ausführlich, wie man gut mit Fehlern umgehen kann. In diesem Artikel und Video fasse ich die aus meiner Sicht wichtigsten Erkenntnisse in fünf Praxistipps zusammen.

Praxistipp 1: Fehlerursachen sollten unterschieden werden.

(1) In einem innovativen Umfeld dienen Fehler der intelligenten Entwicklung, denn es gibt keine Leitfäden, was genau zu tun ist. Die Produktentwicklung geschieht heute mit Hilfe von Design Thinking auf der Basis von personas. Dieses ist zwangsläufig iterativ, da man sich nicht sicher sein kann, die Zielgruppe und deren Bedürfnisse sofort richtig zu treffen. Fehler in der Produktentwicklung sind leichter zu korrigieren als in der Massenproduktion.

(2) Fehler in einem standardisierten Umfeld geschehen häufig aus Unachtsamkeit und Selbstüberschätzung. Die Kurve, die der Fahrer mit dem Gabelstapler zu eng nimmt, die Schutzbrille die der Monteur nicht aufsetzt, weil er nur mal kurz mit der Flex eine Schweißnaht entgraten will usw. Eigentlich weiß man, wie es geht, und man kennt die Risiken, aber man ist sich seiner Sache zu sicher oder es doch mal wieder schneller gehen.

(3) Fehler, die in einem komplexen Umfeld geschehen, entstehen häufig aus einer Kumulation von einzelnen Versäumnissen. Wie Amy Edmondson schreibt, ein Loch in einem Schweizer Käse ist noch kein Problem, aber wenn sich viele Löcher zu einem Tunnel verbinden, dann passieren Dinge. Ein Beispiel für komplexe Fehler sind die Fehler im Zusammenhang mit der Boeing 737 Max.

Praxistipp 2: Es fällt schwer, aus Fehlern zu lernen.

Keiner macht gerne Fehler. Fehler beinträchtigen im ersten Aff

ekt häufig das Selbstwertgefühl. Wenn Fehler das eigene Ego beeinträchtigen, ist die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen, beeinträchtig (Lauren Eskreis-Winkler, Ayelet Fishbach https://youtu.be/MJFfx3A3Pf8). Daher ist es wichtig, explizit das Positive an Fehlern herauszustellen, um das Stressniveau zu reduzieren, dass sich aus Fehlern ergibt. Ein wichtiger Aspekt ist, weniger die Identität und Performance und mehr die Entwicklung in den Fokus zu nehmen. Ich bin nicht zu blöd, aber ich habe mich in der Situation falsch verhalten. Wenn ich mein Verhalten korrigiere, wird das Resultat besser. Diese Interpretationsform schafft ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und fördert Motivation.

Die Forschung hat sogar entgegen der häufig verbreiteten Anekdoten (wir lernen am meisten aus Fehlern) ergeben, dass Menschen weniger aus Fehlern lernen, wenn sie sie selbst erlebt haben, als aus den gleichen Fehlern, die sie bei anderen beobachtet haben.

Am besten lernen wir aus „near misses“, also aus Fehlern, die fast eingetreten sind und die wir erfolgreich vermeiden konnten.

Ein persönliches Beispiel dafür: nach unsererm Hochzeitswochenende wollten wir am Montagmorgen in die Flitterwochen in die USA fliegen. Wir hatten den Wecker rechtzeitig gestellt, um mit der Bahn zum Flughafen zu fahren – dachten wir. In Wahrheit hatten wir vergessen, den Wecker am Abend zu stellen. Mit 2 Stunden Zeit bis zum Abflug sind wir aufgewacht. Glücklicherweise konnten wir schnell ein Taxi organisieren und haben es noch rechtzeitig geschafft. Das war ein „near miss“, der Fehler blieb ohne Konsequenzen. Die Forschung zeigt, dass es erheblich leichter fällt, über solche Fehler zu sprechen und daraus zu lernen, weil die Erfahrung mit weniger Scham verbunden ist.

Praxistipp 3: Psychologische Sicherheit kultivieren

Fehler sind menschlich, denn Unachtsamkeit und Selbstüberschätzung sind auch menschlich. Wenn Fehler in einem standardisierten Umfeld passieren, dann ist es wichtig, diese frühzeitig zu erkennen, um Gegenmaßnahmen bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes zu berücksichtigen. Das sind z.B. die Andon cords, die aus dem Toyota Production System bekannt sind. Im Flugzeugbau sind es z.B. Grenzmuster. Auch die Verbesserung von Arbeitsbekleidung und PSA (persönlicher Schutzausrüstung) gehören dazu.

Diese Maßnahmen setzen aber voraus, dass Fehler zugegeben und analysiert werden können. Es ist also wichtig, dass die Meldung von Fehlern inzentiviert wird und glaubhaft ohne negative Konsequenzen bleibt. Einschränkend sollte man sagen, dass im Nachhinein festgestelltes grob fahrlässiges, oder vorsätzliches Fehlverhalten nicht ohne Konsequenzen bleiben sollte.

Psychologische Sicherheit führt allerdings nur in Kombination mit hohen Ansprüchen an die eigene Arbeit zu einer Lernkultur. Das eigene Verantwortungsgefühl sollte also ebenfalls gestärkt werden, z.B. durch Möglichkeiten, mit dem Kunden in Kontakt zu treten, um den Sinn der Selbstverantwortung vor Augen geführt zu bekommen.

Praxistipp 4: Nützliche Fehler ernten häufig Vorwürfe

Interviews, die Amy Edmondson geführt hat, haben einen erstaunlichen Widerspruch aufgedeckt, der in den Unternehmen vorherrscht.

Während nur 1-2% der Fehler, die in den untersuchten Unternehmen auftraten, wirklich objektiv inakzeptabel waren, führten 70-90% der Fehler trotz allem zu Kritik durch Vorgesetzte. Es ist also wichtig, sich als Führungskraft zu vergegenwärtigen, wie man auf Fehler reagiert, die objektiv nützlich sind. Häufig macht einem das eigene Ego einen Strich durch die Rechnung, und die Reaktion ist im ersten Moment negativer als sinnvoll.

Praxistipp 5: Komplexe Fehler vermeidet man ganz vorne am besten

Die Abhängigkeit vieler einzelner Variablen und Komponenten voneinander führt dazu, dass Fehler sich in einem komplexen System fortpflanzen und Auswirkungen haben, die nicht prognostizierbar sind.

Flugzeugbau, zuletzt mit der Boeing 737Max, ist ein gutes Beispiel für komplexe Systeme, bei denen Risiken mit enormen Auswirkungen (high stakes) verbunden sind. Komplexe Fehler hinterlassen häufig einen Pfad von kleinen Fehlern oder schwachen Signalen, die man hätte erkennen können. Die ersten vertuschten, aber noch gefundenen Arbeitsfehler, die ersten Risikoanalysen, die zurückgehalten werden, die ersten Materialfehler, die in einzelnen Chargen gefunden werden usw.

In komplexen Systemen, bei denen viel auf dem Spiel steht, ist es wichtig, dass die frühen Warnsignale wahrgenommen und ernst genommen werden. Leider sind diese frühen Fehler meist in Umfang und Auswirkung begrenzt und können daher leicht ignoriert werden. In einer frühen Phase sollten sie als Vorbote für größere Fehler erkannt und in dem Zeitfenster, in dem sich der Fehler noch nicht auf z.B. nachgelagerte Produktionsschritte auswirkt, konsequent verfolgt und aufgedeckt werden. Kein Mensch prüft später bei der Endabnahme eines Flugzeugs, ob alle Schrauben in der Struktur korrekt montiert sind.

Fazit

Fehlerkultur ist ein wichtiges Instrument, um Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Aber auch in einem industriellen, hochkomplexen und mit hohen Risiken verbundenen Umfeld ist es wichtig zu wissen, wie man gut mit Fehlern umgehen kann. Die psychologische Sicherheit, Fehler zugeben und melden zu können, ohne negative Konsequenzen zu befürchten, stellt eine wesentliche Komponente einer konstruktiven Fehlerkultur dar.