Achtsamkeit im Umgang mit Komplexität.

Was wir aus der Coronakrise über unser Steinzeitgehirn lernen können

Haben Sie auch gerade nichts zu tun? Als Freelancer hat mich die Corona-Krise gerade richtig erwischt. Keine Aufträge bis mindestens Ende April, alle Veranstaltungen wurden storniert. Und das im ersten Jahr, in dem mein Kalender auf Monate nahezu voll ist.

Das sogenannte Coronavirus (Covid-19) hat unsere globale Gesellschaft mit unerwarteter Heftigkeit getroffen. Wirklich unerwartet? Und wie konnte es passieren, dass die Politik erst zu einem späten Zeitpunkt die Konsequenzen ergriffen hat, die unser öffentliches Leben derzeit so drastisch einschränken? War man sich der Entwicklung nicht bewusst? Hat man geglaubt, in Deutschland würde der Virus sich anders verbreiten als in China oder Italien?

Welche Gründe gibt es für dieses Phänomen der Unterschätzung und späten Reaktion?

Drei Gründe lassen sich in der Literatur finden, anhand derer man gut die Schwierigkeiten erkennen kann, die wir Menschen mit Komplexität und dynamischen Systemen haben.

  1. Fehlende Anschaulichkeit
  2. Dynamische Entwicklung
  3. Exponentielles Wachstum

Fehlende Anschaulichkeit

Kam die Pandemie wirklich unerwartet? Experten habe es kommen sehen. Schon seit Jahren ist in der Presse immer mal wieder die Rede von dem Risiko einer globalen Pandemie ausgelöst durch einen Virus, für den wir keinen Impfstoff haben. Fazit: „Wir haben es gewusst, aber wir konnten es nicht glauben.“

Dieses Zitat stammt aus einem einflussreichen Buch zum Thema Klimawandel, aber dazu später mehr. Mit „wir können es nicht glauben“, ist unsere Tendenz gemeint, Gefahren, die nicht räumlich und zeitlich unmittelbar vor uns liegen, zu vernachlässigen. Unser Gehirn ist nicht dafür gemacht. Die chemischen Botenstoffe, die unser Gehirn im Falle von drohender Gefahr produziert, und die uns zur angemessenen Reaktion motivieren sollen, werden in einem solchen Falle räumlicher oder zeitlicher Distanz einfach nicht produziert. Das könnte im 21. Jahrhundert dramatische Folgen für die Menschheit haben. Neben den offensichtlichen Effekten des industriellen CO2-Ausstoßes  gibt es viele versteckte Konsequenzen. Wie zuletzt in der Netflix-Dokumentation „Our Planet“ zu sehen war, sterben in unseren Ozeanen weltweit Riffe und Kelbwälder aufgrund von Artenverlust und globaler Erwärmung, und damit sinkt die Fähigkeit der Ozeane CO2 zu speichern immer weiter. Wüsten breiten sich immer weiter aus, die Produktion von Nahrungsmitteln wird in bestimmten Regionen der Welt immer schwieriger, weitere globale Flüchtlingsströme sind zu erwarten. Ohne drastische Bilder, die selbst über über TV und Internet offensichtlich noch nicht anschaulich genug sind, sind wir uns dieser Gefahr einfach nicht bewusst, bzw. wir ziehen keine Konsequenzen daraus.

Historische Beispiele für dieses Muster gibt es genug. Der Autor Jonathan Safran Foehr beschreibt in dem Buch „Wir sind das Klima“, wie eine geschickte Strategie der Lenkung der öffentlichen Wahrnehmung in den USA im zweiten Weltkrieg eine breite Wirkung hatte und zu einer deutlichen Verhaltensänderung geführt hat. Zur Zeit des Krieges wurden in den USA viele Städte nachts verdunkelt, um dem amerikanischen Volk spürbar deutlich zu machen, dass man sich als Nation im Krieg befand. „Man musste den Menschen an der Heimatfront klar machen, dass ihr vertrauter Lebensstil in Gefahr war. Und Dunkelheit war eine Möglichkeit, die Gefahr sichtbar zu machen. (…) Solidarität war gefragt. (…) Ohne diese Aktionen an der Heimatfront (…) hätte man den 2. Weltkrieg nicht gewonnen.“ Safran Foehr erklärt im Detail, welche Auswirkungen diese Solidarität in der Gesellschaft hatte. Als Konsequenz stieg nicht nur die Produktivität der amerikanischen Wirtschaft sondern auch die Steuereinnahmen des Staates.

Später in seinem Buch erklärt Safran Foehr die Geschichte des polnischen Diplomaten und Widerstandskämpfers Jan Karski, der sich 1942 aufmachte, um die britische und amerikanische Regierung auf die Vernichtung der Juden im Warschauer Getto aufmerksam zu machen. Karski berichtet in seinen Memoiren und in einem Interview aus dem Jahre 1996 von einem Treffen mit dem US-amerikanischen Verfassungsrichter Felix Frankfurter, bei dem der oben bereits zitierte Satz fiel. „Ich kann nicht glauben, was sie mir da erzählen.“

Dahinter steht die oben genannte Unfähigkeit, uns von Gefahren motivieren zu lassen, die räumlich oder zeitlich entfernt sind, die also nicht unmittelbar anschaulich sind. Laut Safran Foehr soll Felix Frankfurter zu Jan Karski gesagt haben: „Mein Verstand und mein Herz sind so gemacht, dass ich das nicht akzeptieren kann.“

Unsere mangelnde emotionale Reaktion auf den Klimawandel hängt genauso mit diesem Mangel an Anschaulichkeit zusammen wie die unterschätzte Gefahr einer weltweiten viral ausgelösten Pandemie.

Dynamische Entwicklung

Im Umgang mit Corona zeigt sich noch eine weitere gefährliche Unfähigkeit unseres menschlichen Gehirns. Wir können nicht in Systemdynamiken denken.

Dietrich Dörner beschreibt in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ wie es zu der fatalen atomaren Katastrophe von Tschernobyl kommen konnte.

Wenn wir Menschen Umweltmerkmalen wie Unsicherheit, Komplexität und Intransparenz ausgesetzt sind, reagieren wir häufig nicht adäquat. Die Summe solcher Umweltbedingungen wird seit einigen Jahren als „VUCA-world“ bezeichnet, die sich durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität auszeichnet. Genau diese Umweltmerkmale sind es, die uns in der digitalen Transformation vor große Herausforderungen stellt.

Aber zurück zu Dietrich Dörner: Dörner berichtet, dass der Reaktor in Tschernobyl 1986 vor einer routinemäßigen Wartung stand, aber dennoch ein Experiment durchgeführt werden sollte. Für dieses Experiment sollte der Reaktor auf 25% der Leistung heruntergefahren werden. Durch manuelle Steuerung verursacht erreichte der Reaktor allerdings anstatt 25% ein wesentlich geringeres und damit instabiles Leistungsniveau. Beim „Herunterfahren“ hatte man „übersteuert“, da das Eigenbremsverhalten des Reaktors nicht als Parameter berücksichtigt worden war.

Dörner charakterisiert diesen Fehler als typisch im Umgang mit dynamischen Systemen: „Man reguliert den Zustand und nicht den Prozess und erreicht damit, dass sich das Eigenverhalten und die Steuerungseingriffe überlagern und die Steuerung überschießend wird.“

Trotz des instabilen Zustands wurde das geplante Experiment gestartet.

Auch hier vermutet Dörner als Ursache dieser Fehlentscheidung nicht mangelndes theoretischen Wissen, sondern schlicht die Abwesenheit eines Risikoempfindens, „weil sie sich kein anschauliches Bild von dieser Gefahr machen konnten.“ Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt.

Exponentielles Wachstum

Die Gefahr exponentiellen Wachstums lässt sich am besten, nein aus Gründen der Anschaulichkeit, nur am konkreten Beispiel erklären.

In einem Teich von 1300 m2 wächst eine Seerose. Am Beginn ihres Wachstums im späten Frühling bildet die Seerose ihr erstes Blatt heraus. Dieses Blatt umfasst ca 1m2. Nach einer weiteren Woche hat die Seerose zwei Blätter, nach der dritten Woche vier Blätter. Nach sechzehn Wochen ist der halbe Teich bedeckt? Wie lange dauert es jetzt noch, bis der Teich vollständig bedeckt ist? Die Antwort gibt wiederum Dietrich Dörner, es dauert nur noch eine weitere Woche, da der Seerosenteppich exponentiell wächst. Wer sich diese Frage zum ersten Mal stellt, ist regelmäßig verwirrt, oder spürt mindestens, dass sich trotz der kognitiv erfassten richtigen Antwort ein Gefühl von Unverständnis einstellt.

Eine weitere bekannte Anekdote zum exponentiellen Wachstum geht so:

Ein Erfinder hatte für einen indischen König ein neues Spiel erfunden. Dieser reagierte offenkundig gelangweilt, wollte den Erfinder gönnerisch belohnen und erlaubte ihm, sich etwas aus seiner Schatzkammer auszusuchen. Der Erfinder war in seiner Ehre verletzt und nahm sich vor, dem König eins auszuwischen. Er erklärte dem König, dass er anstelle einer Kostbarkeit aus der Schatzkammer nur etwas Reis erbete. Und zwar soviel, wie er einem Schachbrett zuordnen konnte, wenn auf dem ersten Feld ein Reiskorn, auf dem zweiten Feld zwei Reiskörner, auf dem dritten Feld vier Reiskörner, auf dem vierten Feld acht usw. liegen würde. Der König willigte sehr schnell ein und lies eine Schüssel mit Reis holen. Schnell fand man heraus, dass diese Menge nicht reichte. Der Hofmathematiker fand fast ebenso schnell heraus, dass die Bitte des Erfinders unerfüllbar war. Alleine für das letzte Feld benötigte man die Menge von 263Reiskörnern. Dietrich Dörner hat ausgerechnet, dass alleine das letzte Feld der Menge von 163 Milliarden Tonnen Reis entspricht, eine nicht nur für den indischen König unvorstellbare Menge an Reis, nicht wahr?

Der „explosive“ Verlauf einer exponentiellen Entwicklung bringt unser Denkvermögen an seine Grenzen.

Fazit: „Der intuitive Umgang mit nichtlinear verlaufenden Wachstumsprozessen fällt uns allen recht schwer und wir sind gut beraten, uns in diesen Fällen nicht auf unsere Intuition, sondern auf Mathematik und Computer zu verlassen.“

Was hat das jetzt alles mit dem Coronavirus zu tun?

Fehlende Anschaulichkeit

Zunächst einmal war das Problem seit mindestens Februar bekannt. Allerdings weit weg in China, genauer gesagt in einer Provinz, von der wohl vorher die wenigsten von uns je gehört haben, Wuhan. Selbst die Todesraten konnten uns nicht wirklich beeindrucken. Das Virus und die Toten waren weit weg.

Um die Anschaulichkeit zu erhöhen verknüpfe ich hier mal den auf Zeit online dokumentierten Verlauf mit meinem aktuellen Beratungsprojekt.

  • 27.1.,
    im Landkreis Starnberg der erste positive Fall nach einer Ansteckung von einer Chinesin bekannt. Alle Kontaktpersonen sind bekannt und können isoliert werden.
  • 24.2., Rosenmontag,
    nachweislich stecken sich Menschen im Karneval in NRW an, vor allem im Kreis Heinsberg verliert sich die Spur, die Infektionskette ist außer Kontrolle.
  • 2.3.,
    über 140 Erkrankte in Deutschland, ca. 300 Personen sind in Heinsberg in NRW unter Quarantäne gestellt.
  • 10.3.
    Laut Robert-Koch-Institut sind 1.296 Menschen infiziert. Am 11.3. hat die WHO das Coronavirus zur Pandemie erklärt.
  • 13.3.
    Schulen werden flächendeckend und präventiv geschlossen, kulturelle und sonstige Veranstaltungen aller Art werden verboten, Schwimmbäder und Fitnessstudios müssen schließen. Die Bevölkerung wird aufgefordert, soziale Kontakte zu meiden.
  • Ende Januar treffen sich Mitarbeiter eines mittelständischen Unternehmens zur Auftaktveranstaltung eines großen internationalen Trainingsprogramms für die Führungskräfte des Unternehmens.
  • Ende Februar fragt ein Berater in einem Briefing, welche Szenarien der Kunde bzgl. der Ausbreitung des Coronavirus vorsähe. Die Antwort: sowohl Kunde als auch Projektleiter haben sich bis dato keine Gedanken darüber gemacht.
  • Anfang März, alle italienischen Teilnehmer sagen ab. Das Training findet mit weniger Teilnehmern statt. Alle weiteren Trainings sollen nach Plan durchgeführt werden.
  • In der zweiten Märzwoche finden weitere Trainings statt. Man gibt sich nicht mehr die Hand, die Teilnahme am Training ist mittlerweile freiwillig.
  • 13.3.
    Alle Trainings werden bis auf weiteres abgesagt.

Fazit: bis zur Einführung drastischer Maßnahme durch die Politik am 13.3. findet kein Risikomanagement statt, da die Gefahr offenkundig nicht anschaulich genug ist, um zur Handlung zu motivieren. Die Entwicklungen werden wahrgenommen, aber im Prinzip ignoriert. Das Problem scheint immer noch nur andere zu betreffen.

Systemdynamik und exponentielles Wachstum

Mal ehrlich, haben wir nicht vor zwei Wochen noch alle gedacht, das ist denn bloß in Italien los? Was machen die da falsch?

Am 12.3. erscheint auf Zeit Online ein Artikel mit folgender Kernaussage: wenn man die Zuwachsraten der Infizierten in Italien und Deutschland vergleicht, ergibt sich fast kein Unterschied. Wir sind nur fünf Wochen hinterher.

Und trotzdem glauben wir doch alle immer noch, dass uns „italienische Verhältnisse“ nicht drohen, oder? Abriegelung von Städten, Entscheidungen über Leben und Tod auf der Intensivstation, mal ehrlich, das Szenario sieht doch niemand auf uns zukommen, oder?

Im selben Artikel werden einige statistische Szenarien entwickelt, wie die Entwicklung weitergehen könnte. Man liest ein Zitat des Schweizer Forschers Richard Neher: „ohne Gegenmaßnahmen denken wir, dass sich die Fallzahlen derzeit mindestens jede Woche verdoppeln könnten. 1.700 Fälle am 11.3. bedeutet 3.400 Fälle am 18.3.

Innerhalb von drei Tagen hat sich die These bereits erledigt. Deutschland weist bereits am Abend des 15.3. laut Zeit Online 5.274 Fälle auf. Das entspricht einer Zuwachsrate von +229% seit dem 10.3. (laut Zeit Online waren in Deutschland am 10.3. 1.602 Personen infiziert).

Auf Zeit Online kann man seit dem 12.3. auch genau nachlesen, was zu tun ist, um die Zuwachsrate der Infizierten zu reduzieren und Zeit zu gewinnen, um Impfmittel zu entwickeln und den Kollaps der intensivmedizinischen Einrichtungen zu verhindern.

Experten der Charité, des Robert Koch Instituts und anderer Institutionen erläutern ihre Thesen, Szenarien und Vorschläge. War all dies vor zwei, drei, vier Wochen noch unbekannt? Natürlich nicht, aber die Gefahr war nicht anschaulich genug, um uns als Gesellschaft und Individuen zur Handlung zu motivieren. Nun zahlen wir dafür den Preis. Totaler Stillstand, massive Einkommenseinbußen, Doppelbelastung von Familien, deren Kinder nicht mehr in Kindergarten und Schulen gehen dürfen.

Was lernen wir aus diesen Erkenntnissen über uns?

Wir Menschen sind offensichtlich nicht in der Lage, nicht anschauliche Risiken und Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Der gerne zitierte Säbelzahntiger setzte unsere Vorfahren in sofortige Alarmbereitschaft. Heute alarmieren uns plötzlich auftretende laute Geräusche, aber auch rücksichtslose Zeitgenossen im Straßenverkehr. Genauso alarmieren uns eigentlich harmlose Konflikte im Beruf und im Privatleben. Unser Puls steigt und wir sind in Alarmbereitschaft. Manchen von uns versetzen diese Mechanismen in gefährlichen Dauerstress. Im positiven Sinne motivieren uns unmittelbar verfügbare Belohnungen wie Schokolade, Sonderangebote und spontane Einkäufe. Wir Menschen sind offensichtlich stark impulsgesteuert und verhalten uns im Prinzip immer noch wie unsere Vorfahren aus der Steinzeit, da unser Gehirn weitgehend unverändert funktioniert.

Und da es in der Steinzeit genug mit der unmittelbaren Umgebung zu tun gab und langfristige oder räumlich entfernte Entwicklungen keine Relevanz für den Einzelnen hatten, können wir noch heute nicht ausreichend anschauliche Gefahren nur schwer als solche einschätzen und uns davon zur Handlung motivieren lassen.

Wie kann Achtsamkeit in dieser Situation helfen?

Was wir brauchen ist offensichtlich eine energiesparende Methode, um unsere eigenen Gedanken und Emotionen, bzw. Nicht-Gedanken und Nicht-Emotionen und die daraus folgenden vorhandenen oder fehlenden Handlungsimpulse wahrzunehmen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Energiesparend deshalb, weil zu starke emotionale und kognitive Selbstkontrolle dem Gehirn Energie entzieht, was das Gehirn schnell in „aus“-Modus gehen lässt.

Diese energiesparende Methode ist die Achtsamkeit. Achtsame Wahrnehmung von allem, was im Hier und Jetzt geschieht, ohne Bewertung lautet die Zauberformel.

Achtsamkeit ermöglicht es uns, unsere Gedanken und Emotionen zu beobachten. Wie aus einer Beobachterposition können wir mit etwas Übung wahrnehmen, welche gedanklichen Impulse oder welche Emotionen in uns entstehen.

In Zeiten des Coronavirus ist Achtsamkeit im einfachsten Falle schon deshalb sinnvoll, weil ich mich selbst dabei beobachten kann, ob ich einen Reiz verspüre, mir ins Gesicht zu fassen, was ja bekanntlich dieser Tage keine gute Idee ist. Weiterhin kann ich achtsam dafür sein, dass ich mir regelmäßig die Hände wasche.

Die Quelle der Achtsamkeit ist die Praxis der Meditation, des Sitzens, z.B. auf einem Kissen, während man seinen eigenen Atem beobachtet. Diese Praxis stärkt die neuronalen Verknüpfungen zwischen dem limbischen Gehirn, in dem Emotionen entstehen und dem Großhirn, in dem Emotionen wahrgenommen werden. Dadurch können Impulse im Großhirn schneller als solche erkannt werden und Reiz-Reaktions-Muster unterbrochen werden.

Angewendet auf unser Thema der Komplexität bedeutet das:

Achtsamkeit der eigenen Gedanken und Emotionen bietet die Möglichkeit, angeborene Reiz-Reaktionsmuster wahrzunehmen und in Frage zu stellen.

Die hier geschilderten Muster der mangelnden Risikowahrnehmung, der Vernachlässigung von multikausalen Netzwerken und der Unterschätzung exponentieller Entwicklung können bewusst wahrgenommen werden. Dadurch entsteht die Möglichkeit, uns bewusst für eine alternative Denkweise oder eine alternative Handlung zu entscheiden, als die, die unserem Denkmuster entspräche.

Zum Schluss möchte ich hier gerne Alexander Poraj aus dem aktuellen Newsletter des Meditationszentrums Benediktushof zitieren:

„Somit wird von uns allen Umsichtigkeit verlangt, eine Haltung, welche die Angst nicht negiert oder herunterspielt, sondern sich geradezu darin zeigt, die persönliche und kollektive Angst in eine neue Haltung zu verwandeln, die sich als eine erhöhte Aufmerksamkeit, Wachheit und Mitmenschlichkeit zeigt – gerade in der Begegnung mit der Unsicherheit des Lebens an sich.“

Hier wird die zweite Komponente der Achtsamkeit beschrieben, die in kritischen Zeiten wichtig ist. Neben einem umsichtigen Umgang mit nicht anschaulichen Risiken wie oben beschrieben, hilft Achtsamkeit auch dabei, umsichtig mit der persönlichen Angst, Frustration und beruflichen Zwängen umzugehen, wenn sie dann eben doch offen zu Tage treten. Gerade die Enttäuschung, dass eine sehr vielversprechende Auftragslage von heute auf morgen und bis auf weiteres auf Null reduziert wurde, ist nicht einfach zu ertragen. Sicher geht es vielen Unternehmern und Selbständigen genauso. Gerade diejenigen, die wenig Rücklagen haben und trotzdem hohe Fixkosten zu tragen haben, die regelmäßig Gehälter und Sozialabgaben zahlen müssen, sind in einer schwierigen Situation. Achtsamkeit kann hier helfen, die eigenen Emotionen zu beobachten und auch hier Reiz-Reaktionsmuster zu unterbrechen. Nicht alles ist negativ, nicht alles Negative hat katastrophale Auswirkungen. Das Leben wird weitergehen. Es ist nur deutlicher geworden, dass unser westlicher Anspruch das Leben beherrschen zu können, utopisch ist.