Ist das schon BANI oder noch VUCA?

Die VUCA-Welt

In komplexen Zeiten suchen Menschen nach Halt und Orientierung.

Da kann es schon reichen, wenn man für das eigene Unwohlsein einen Namen findet.

„Naming the dragon, means taming the dragon.“ Das alte Sprichwort erinnert daran, dass man die Dinge beim Namen nennen muss, wenn man sie beherrscht.

Seit einiger Zeit verwende ich in meinen Trainings das Akronym VUCA, um die Komplexität und Überraschung der heutigen Welt zu beschreiben.

V: Die Welt ist volatil. Es gibt wenig Linearität. Zum Beispiel verändern sich Auftragseingänge sich heute viel schneller und radikaler als noch vor Jahren.

U: Die Welt ist unsicher. Es gibt viele Überraschungen, mit denen man rechnen muss. Die Pandemie ist das beste Beispiel.

C: Die Welt ist komplexer geworden. Monokausale Erklärungsmuster gelten immer weniger. Heute geht es viel mehr um Abwägung von einerseits und andererseits. Geschäfte in China sind wichtig, aber wie gehen wir mit dem Verlust von Technologie um? Diese Frage hat Airbus vor 20 Jahren anders beantwortet als Boeing. Airbus hat investiert, mächtig Geld verdient, aber auch viel Technologietransfer getätigt.

A: Die Welt ist geprägt von Ambiguität. Die Dinge sind nicht mehr so eindeutig zu interpretieren wie früher. Spätestens seit der russischen Invasion in der Ukraine wissen wir, dass wir die Ziele von Präsident Putin offenkundig falsch interpretiert haben.

Die BANI-Welt

Der Zukunftsforscher Jamais Cascio hat im Jahre 2020 den Begriff BANI geprägt. Sein Artikel mit dem Titel „Facing the Age of Chaos“ beschreibt, was er persönlich als Weiterentwicklung von VUCA ansieht.

B – Brittle: Die Welt ist nicht mehr nur volatil, sondern brüchig. Brüchig heißt, etwas, was  von außen betrachtet scheinbar sehr stabil ist, fällt plötzlich und unerwartet in sich zusammen. Wie ein schlecht gebautes Haus im Erdbebengebiet in der südlichen Türkei.

A – Anxious (Anxiety-creating): Die Welt reagiert mit Angst auf die Entwicklungen. Vertrauen in staatliche Institutionen schwinden, Querdenker und Verschwörungstheoretiker verzeichnen einen Zulauf. Vertrauen in wirtschaftliche Institutionen schwinden mit jedem neuen Wirtschaftsskandal (Wirecard) oder der nächsten Bankenpleite (Credit Suisse, Silicon Valley Bank). Die digitalen Möglichkeiten der Fehlinformation und fake news verstärken diesen Effekt einer zunehmenden Verängstigung.

N – Non-linear: Die Welt verläuft nicht mehr linear. Ursache und Wirkung sind schwierig zu prognostizieren oder sogar schwierig zu verstehen. Das hohe Niveau der weltweiten Inflation und der Verlust von Arbeitskräften in den USA durch die sogenannte great resignation sind immer noch nicht klar erklärt. Was gut ist für Journalisten, die ihr Geld mit immer neuen Mutmaßungen und Berichten verdienen, ist nicht gut für die gefühlte mentale Stabilität im Umgang mit Krisen.

Ein weiterer Aspekt von nicht-linearen Effekten ist das exponentielle Wachstum, das wir Menschen, wie viele Studien zeigen, häufig deutlich unterschätzen. Derzeit können wir uns nicht vorstellen, wie sich künstliche Intelligenz, Machine Learning, oder Large Language Models, also die Technologie hinter Chat-GPT entwickeln wird. Die Versuche der US-amerikanischen wie europäischen Gesetzgeber, der KI ein Korsett aus Regeln zu verpassen erscheinen immer ein paar Jahre hinter den technischen Möglichkeiten und den ethischen Fragen der Anwendung hinterher zu hinken.

I – Incomprehensible. Die Welt ist zunehmend nicht mehr zu verstehen. Auch hier geht es um den Verlust von einfachen Erklärungsmodellen. Ein Vorstand eines deutschen Maschinenbauunternehmens erklärte kürzlich in kleiner Runde, dass man nicht mehr in der Lage sei zu erklären, warum die Gesamteffektivität der Produktion weit hinter den einzelnen Teilen der Supply Chain hinterherhinkt. Netzwerkpläne etc. erklären nicht mehr, warum der gesamte Output einer Wertschöpfungskette nicht das Ziel erreicht, während in einzelnen Werken deutlich über Plan geleistet wird.

Im folgenden habe ich ein paar Beispiele für die BANI-Welt zusammengetragen. Alle Fotos sind vor ein paar Jahren bei einem Besuch in New York City entstanden. Vier Beispiele zeigen, wie man die Auswirkungen der BANI-Welt an einem Ort erkennen kann.

Beispiel 1: Das Chrysler Building in Manhattan gehört seit Jahren zum Immobilienkonzern des Österreichers René Benko. Laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel stehen dort ganze Etagen von Geschäftsräumen leer. Der globale Druck auf die Margen ausgelöst durch die Zinserhöhung bringt den Konzern in ernste finanzielle Schwierigkeiten. (Der Spiegel Nr. 17 / 2023)

Ein Beispiel für Brittle: der Immobilienmarkt schien unantastbar und bewegt sich derzeit auf eine globale Krise zu.

Beispiel 2: Ground Zero in Manhattan.

Auch dieses ein Beispiel für Brittle. Der Autor Jeroen Kraajienbrink verknüpft Brittle mit dem Verlust der Illusion der Stärke. Die westliche Welt und vor allem die USA fühlten bis zum 11. September 1991 weitgehend sicher vor der Gefahr, dass der islamische Tourismus in die Zentren der westlichen Welt vordringen konnte. Das Bewusstsein für die eigene Anfälligkeit wurde an diesem Tag brutal erweckt.

Beispiel 3: Hudson River Greenway.

Dieses Foto entstand am 21. Oktober 2017 nach einem entspannten Spaziergang über den Hudson River Greenway. Exakt an dieser Stelle starben 10 Tage später, am 31. Oktober 2017, durch die Amokfahrt eines 29-jährigen Mannes mit einem gemieteten Truck acht Menschen.

Die plötzliche Erkenntnis, dass andere Touristen nur 10 Tage später und damit zur falschen Zeit am falschen Ort waren, kann einem schon Angst machen.

Beispiel 4: The Village in Downton Manhattan.

Dieses Foto entstand ebenfalls 2017 im Greenwich Village. Ein boomender, innovativer Stadtteil mit vielen Cafés und einer inspirierenden Atmosphäre. Toby’s Estate findet man nach der Pandemie nicht mehr bei Google. Es wurde wie viele andere Businesses Opfer der Pandemie und des Lockdowns.

Auch das ist ein Beispiel für Non-Linear. Die Unterschätzung der weltweiten Auswirkungen der Pandemie ist Ausdruck der Illusion der Vorhersehbarkeit, die der Autor Jeroen Kraijenbrink in seinem Artikel in Forbes beschrieben hat. Wir sind nicht mehr sicher, wann die nächste Pandemie kommt und welche Auswirkungen sie haben wird.

Darüber hinaus ist es ein Beispiel für Incomprehensible und den Verlust der Illusion des Wissens (ebenfalls Jeroen Kraijenbrink).

Wir wissen bis heute nicht, ob das Virus aus einem Labor oder von einem Tiermarkt in Wuhan stammt. Wir wissen nicht, wie das Virus über ein Wirtstier auf den Menschen überspringen konnte.

Und wir haben auch gelernt, dass die Entscheidung über einen weitgehenden Lockdown und die Abwägung von Traumatisierung von Kindern und älteren Menschen durch den Verlust von sozialen Kontakten eher eine Frage von Gewissen, denn von Wissen ist.

Fazit:

Für BANI gibt es natürlich kein Patentrezept.

Trotzdem versuche ich zwei Empfehlungen zu geben.

Erstens, entwickeln Sie eine Bewusstheit für die Risiken und schärfen Sie das Verständnis für die Notwendigkeit wach zu bleiben, nicht zu arrogant und selbstsicher zu sein. Verbessern Sie die eigene Sensorik und halten Sie die eigene Veränderungsfähigkeit im Auge.

Wir werden alle unachtsam, wenn es uns zu lange zu gut geht.

Zweitens, wägen Sie Effizienz gegen Resilienz ab. Effizienz durch genau synchronisierte Wertschöpfungsketten, optimierte Lagerhaltung und weltweite Konkurrenz auf der Basis der Produktionskosten in Niedriglohnländern hat ihren Preis. Was stabil erscheint, steht auf dem wackligen Fundament von Annahmen, die sich in den letzten 30 Jahre scheinbar risikolos fortschreiben ließen. Also einer Welt weitgehend ohne Terror, nennenswerte zwischenstaatliche Kriege, dafür aber mit  einer hohen Stabilität des internationalen Austauschs von Rohstoffen, Waren und Dienstleistungen und auf Basis der Handlungsfähigkeit systemübergreifender internationaler Institutionen.

Diese Annahmen gelten nicht mehr uneingeschränkt.

Begriffe wie de-coupling und de-risiking beschreiben Strategien, die Risiken der Globalisierung neu zu bewerten. Local for global ist nicht mehr das Maß aller Dinge. Local for local, also z.B. die Produktion von Automobilen deutscher Bauart in China für China, erscheint weiterhin möglich, die weltweite Verzahnung der Wertschöpfung wird jedoch zurückgebaut. Das geht natürlich zu Lasten der Effizienz, schützt aber die Wertschöpfungsketten vor dem Risiko des totalen Kollaps.

Am Ende gilt der Satz von Jack Welch:

„Wenn die Geschwindigkeit der Veränderung im Außen höher ist als im Innen, ist das Ende in Sicht.“